23 FEBRUARY 2017

HONORARY CONSUL » 23 FEBRUARY 2017

 

Gespräch mit dem Westbalkan-Experten Attila Galambos

 

„Die Länder des Westbalkans sind weitaus attraktiver als ihr Ruf“


„Der Westbalkan ist noch immer eine wirtschaftlich unterschätzte Region“, ist sich Attila Galambos (57) sicher. Diese feste Überzeugung ist zugleich die Basis für seine Beratungsfirma Communautrade-Europe Kft., die potenzielle Investoren auf diese Region aufmerksam macht und sie bei weitergehenden Aktivitäten berät.

Auch Attila Galambos kam eher indirekt mit dieser Region in Berührung. Ursprünglich war der Diplomökonom Angestellter einer sozialistischen Außenhandelsfirma. Zuletzt war er für fernöstliche Länder verantwortlich, darunter Vietnam, Kambodscha und Laos. Durch einen Zufall machte er dann jedoch bei einem Empfang in Budapest die Bekanntschaft mit dem Generaldirektor einer soeben gegründeten albanischen Bank. Die beiden Herren waren sich von Anfang an sympathisch. Damit rückte für Galambos auch das damals aus dem Steinzeitkommunismus erwachende Albanien in den Blickpunkt.

Gezielte Suche nach der Chance

Diese Umorientierung fiel für ihn in eine Zeit, in der er sich selbstständig machte und eine eigene Handelsfirma gründete. Während sich damals die meisten seiner Kollegen daran machten, am boomenden Ost-Westhandel zu partizipieren, setzte Galambos jedoch auf bewusst auf den Underdog Albanien. „Ich war mir von Anfang an sicher: hier ist Potenzial.“ Und so begann er diverse Möglichkeiten zu untersuchen. Einmal pro Monat war er zu diesem Zweck auch direkt vor Ort in Albanien. Die Zeit verging. Doch der entscheidende Deal ließ auf sich warten. Nach gut einem Jahr und einer wachsenden Unruhe, konnte er dann endlich eine gute Nachricht verbuchen: seine Firma hatte den Tender der albanischen Nationalbank gewonnen, bei dem es um Beschaffungen im Rahmen des Aufbaus eines Handelsbankensystems ging.

Das Geschäft hatte ein gutes Volumen und konnte erfolgreich umgesetzt werden. Viel wichtiger als die daraus resultierenden Einnahmen sollten sich dann jedoch die bei den entsprechenden Trainings gewonnenen Kontakte herausstellen. Zahlreiche Banker, die in den Folgejahren in der albanischen Finanzwelt eine wichtige Rolle spielen sollten, lernten Galambos dabei als korrekten und zuverlässigen Menschen kennen. Das sollte sich auszahlen. In der Folgezeit wandten sie sich bei verschiedenen Außenhandelsgeschäften wiederholt um Rat an ihn. So stieß er schließlich auch auf das „Geschäft seines Lebens“.

Dabei ging es um ein eher unspektakuläres, dafür aber sehr gefragtes ungarisches Exportgut: um gefrorenes Geflügel aus Ungarn, wonach zu dieser Zeit auch in Albanien eine große Nachfrage bestand. „In kurzer Zeit stieg ich bei diesem Produkt zum größten ungarischen Exporteur auf“, erinnert sich Galambos. Das Geschäft lief ab Mitte der 90er Jahre hervorragend. Immer mehr belieferte er auch ehemalige ex-jugoslawische Länder. Dass das Geschäft so dermaßen brummte hatte aber nicht nur etwas mit der Qualität des ungarischen Geflügels zu tun, sondern auch mit attraktiven Subventionen, die der ungarische Staat zu dieser Zeit noch auf bilateraler Basis auf Agrarexporte zahlte und vor allem zahlen konnte.

Ungarns EU-Beitritt zwang zu Neuorientierung

Mit dieser Praxis war es jedoch 2004 vorbei. Mit Ungarns EU-Beitritt hörte das System der bilateralen Exportsubventionen mit einem Schlag auf. Damit brach für die ungarischen Tierzüchter zugleich der attraktive albanische und ex-jugoslawische Markt weg. 2007 wickelte Galambos die letzte Geflügellieferung ab. Mit dem Auslaufen dieser geschäftlichen Möglichkeit begann er sich wieder verstärkt nach Alternativen umzusehen, die es durchaus noch gab. „Auf jeden Fall wollte ich der Region weiter treu bleiben. Nur auf diese Weise konnten sich meine mittlerweile beträchtliche Expertise hinsichtlich dieser Region und mein dortiges Netzwerk entsprechend verzinsen.“ In der Folgezeit beriet er unter anderem den Busbauer Ikarus und die größte ungarische Bank OTP bei ihren Expansionsanstrengungen in der Region. Schließlich engagierte er sich beim boomenden Wohnungs- und Hotelbau in Albanien, diesmal bereits als Investor.

Außerdem begann er seine regionalen Kenntnisse zunehmend auch als Berater auf dem Markt anzubieten. Immerhin interessierten und interessieren sich immer mehr Firmen für ein Engagement in und mit dieser Region. Gefragt nach den Vorzügen der Westbalkan-Länder geht Galambos sofort auf die Arbeitskräftesituation ein, um die es mit Blick auf das Angebot noch deutlich besser steht als in Ungarn. Dazu kommt, dass keines der sechs Länder in naher Zukunft EU-Mitglied und damit einhergehend Teil des EU-Arbeitsmarktes sein wird. Ergo können die Arbeitsmärkte der Region auf absehbare Zeit nicht so stark in Richtung der West-EU-Länder ausbluten wie derzeit etwa die der Visegrád-Länder. Was die Arbeitskultur betreffe, so wirke es sich positiv aus, dass es in nahezu jeder es-jugoslawischen Familie jemanden gibt, der einmal ein paar Jahre als Gastarbeiter im Westen zugebracht hat und daher einen entsprechenden Erfahrungsschatz sein eigen nennen kann.

Westbalkan-Länder wollen in die EU

Obwohl der EU-Beitritt dieser Länder noch ein Zukunftsprojekt ist – als erstes rechnet man in etwa fünf Jahren mit einem Beitritt Serbiens – arbeiten alle Länder jedoch fest entschlossen auf eine EU-Mitgliedschaft hin. Das bedeutet unter anderem, dass die nationalen Gesetze schrittweise an EU-Standards angepasst werden, aber auch, dass sich diese Länder auch in sonstiger Hinsicht um gute Beziehungen zu den maßgeblichen EU-Ländern bemühen. Daraus ergeben sich auch gute und vertrauensvolle Beziehungen zu den Auslandsinvestoren. Nach den Worten von Galambos sei unter den sechs Westbalkan-Ländern inzwischen sogar ein regelrechter Investorenwettbewerb ausgebrochen. Die Regierungen überbieten sich bei der Schaffung möglichst attraktiver Standortbedingungen.

Dabei kommt ihnen ein weiterer Vorteil einer bisher noch fehlenden EU-Mitgliedschaft zugute: die Regierungen können bei der Festlegung von Investitionsbeihilfen wesentlich flexibler agieren als EU-Mitglieder. „Die Gewinner des Wettbewerbs und einer absehbaren, aber noch nicht vorhandenen EU-Mitgliedschaft sind auf jeden Fall die Investoren“, ist sich Galambos sicher. Konkret mit Blick auf die immer prekärere Arbeitskräftesituation in Ungarn könne er sich vorstellen, dass es für in Ungarn aktive westlichen Investoren, die hier wegen der Arbeitskräftesituation nicht mehr oder zumindest nicht mehr im gewünschten Tempo wachsen können, eine Investition in einem westbalkanischen Land einen Ausweg aus der Misere darstellen könnte. Damit könnten zugleich ungarische Arbeitsplätze abgesichert werden (weil die Firmen so nicht gezwungen sind, Ungarn komplett zu verlassen) und könnte sich eine sinnvolle Arbeitsteilung ergeben, etwa zwischen einfacheren und komplizierteren Tätigkeiten.

Kulturelle Nähe ausnutzen

Sollten sich in Ungarn aktive westliche Firmen dafür entscheiden, in einem „seiner“ Länder zu investieren, so rät ihnen Galambos dazu, diesen Schritt nicht direkt von der Mutterfirma aus vorzunehmen, sondern lieber indirekt über die ungarische Tochter und möglichst unter Einbeziehung hiesiger Manager. Immerhin gäbe es hier eine gewisse kulturelle Nähe, die einer Zusammenarbeit durchaus zuträglich ist. Außerdem genießen Ungarn nach den Erfahrungen von Galambos in all diesen Ländern über ein hohes Ansehen frei von irgendwelchen historischen oder sonstigen Ressentiments.

Neben der tagtäglichen Arbeit vieler Ungarn in und mit diesen Ländern dürfte für diese positive Einschätzung auch die allgemeine Konstellation der Länder verantwortlich sein. „Früher war das nichtpaktgebundene und daher relativ offene Jugoslawien deutlich höher entwickelt als die meisten Länder des Ostblocks. Wir blickten zum freieren Jugoslawien mit seinen volleren Schaufenstern auf. Der Bürgerkrieg machte diesen Vorteil zunichte. Inzwischen blicken viele Ex-Jugoslawen auf Ungarn, das seit der Wende aus einer relativ schlechten Ausgangssituation viel gemacht hat. Ungarn gilt in vielen Ländern der Region als Musterbeispiel und genießt ein gutes Image“, erklärt Galambos.

Unterstützen kann der Berater übrigens außer mit allgemeinen Erfahrungen auch mit einer Vielzahl an Kontakten zu Entscheidungsträgern der Region. „Ich stehe mit den Regierung aller Länder der Region in einem guten Kontakt“, wirbt er unter anderem. Zu seinem wachsenden Netzwerk in der Region tragen nicht nur eigene wirtschaftliche Aktivitäten bei, sondern auch einige weitere Verbindungspunkte. So ist er unter anderem Honorarkonsul von Mazedonien in Ungarn und Präsident der Westbalkan-Sektion der Ungarischen Industrie- und Handelskammer. Ihm zur Seite steht in seiner Beratungsfirma übrigens unter anderem Gábor Gérnyi also ein weiterer Außenhandelsprofi, űdessen Name vielen in Ungarn wirtschaftlich aktiven Deutschen durch dessen jahrzehntelanges Engagement in deutsch-ungarischer Relation ein Begriff sein dürfte.

Mit Respekt begegnen

„Ist es nicht beleidigend für die Partner der Region, wenn sie unter den pejorativ besetzten Begriff Westbalkan eingeordnet werden?“, wollen wir abschließend von Galambos wissen. „Nein keineswegs“, erklärt er entschieden. Auf die Leute der Region würde dieser Begriff eher neutral wirken und keinesfalls so negativ wie auf uns. Zumal der Begriff „Westbalkan“ ohnehin nicht stimme und eher eine im Rahmen der Konfliktlösung nach den ex-jugoslawischen Bürgerkriegen von Westlern erdachte politische Kategorie sei. „Wenngleich sich die Betroffenen aus dem Begriff ‚Balkan‘ nicht viel machen, nehmen sie es Partnern hingegen sehr übel, wenn sie von diesen wegen des Entwicklungsstandes ihrer Länder herablassend behandelt werden“, warnt Galambos hingegen.

Generell würde es gegenüber den Ländern „seiner“ Region noch immer viele negative Vorurteile und Stereotypen geben. Diese würden häufig von Leuten in die Welt gesetzt, die selbst noch nicht vor Ort waren. Daher rät er, nicht auf solche Meinungen zu vertrauen, sondern sich vorurteilsfrei selbst ein Bild von den Menschen und Möglichkeiten vor Ort zu machen. Eines kann er auf jeden Fall voranschicken: „Die Länder meiner Region sind weitaus attraktiver als ihr Ruf.“

▶▶ Jan Mainka